Während ihrer langjährigen Tätigkeit als Professorin für Internationales Kartellrecht und Mitglied im Profilbereich Smart Regulation an der Universität Graz forschte Viktoria Robertson an der Schnittstelle von Kartellrecht und Digitalisierung. Aktuell leitet sie die Abteilung für Kartellrecht und Digitalisierung an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ein Interview über aktuelle Projekte, Highlights an der Uni Graz und die Wichtigkeit interdisziplinärer Forschung.
Wodurch wurde Ihr Interesse für das Kartellrecht geweckt?
Im Rahmen des Grazer Privatrechtlichen Dialogs gab es während meines Diplomstudiums eine Veranstaltung im Bereich Kartellrecht. Die Materie hat mich sofort fasziniert, da es im Grunde darum geht, wie sichergestellt werden kann, dass das Wettbewerbsverhalten von Unternehmen dem Wohle der Gesellschaft dient und die Marktmacht einzelner Unternehmen nicht überhandnimmt. Dabei muss das Kartellrecht immer mit der Zeit gehen, etwa aktuelle Herausforderungen wie Covid-19 oder die fortschreitende Digitalisierung berücksichtigen. Es handelt sich also um ein sehr dynamisches Rechtsfeld, das stark in den aktuellen wirtschaftlichen Kontext eingebettet ist.
Ein besonderer Moment an der REWI Universität Graz, an den Sie gerne zurückdenken?
Besonders gut in Erinnerung geblieben ist mir, als das von mir mitbetreute Team der REWI Graz den Moot Court Kartellrecht gewonnen hat – und das gleich zwei Mal in Folge, 2020 und 2021! Das war ein herausragender Erfolg für die Grazer Studierenden, der noch dazu eine wunderbare Verschränkung von Wissenschaft und Praxis ermöglicht hat.
Wie hat sich die REWI Universität Graz verändert? Wie hat sich die Arbeit über die Zeit verändert?
In den vergangenen 20 Jahren – so lange bin ich der REWI Graz schon verbunden – hat sich natürlich einiges getan. Besonders begeistert mich die gelebte Internationalisierung der Fakultät, die ich über die letzten zwei Jahrzehnte miterleben durfte, denn dadurch behält die REWI ihren Anschluss an das internationale Forschungsgeschehen. Beispielhaft erwähnt seien da die aktiv gelebten Partnerschaften mit Schwester-Fakultäten, die Fülle an englischsprachigen Lehrveranstaltungen, das neue Fellowship-Programm, die Einrichtung des Masterstudiums Computational Social Systems mit juristischem Schwerpunkt, das ich mitbegleiten durfte, oder die zunehmend internationale Publikationstätigkeit der REWI-Forscher:innen.
Was liegt Ihnen als Professorin für Kartellrecht am Herzen?
Das Kartellrecht ist in Österreich noch eine recht junge Disziplin. Mir ist es wichtig, Studierenden die Bedeutung des Kartellrechts mit auf den Weg zu geben, damit sie in ihrer künftigen beruflichen Tätigkeit auch entsprechend verantwortungsvoll agieren können. Das ist wichtig, da Kartellverstöße die Gesellschaft und auch Unternehmen selbst teuer zu stehen kommen, mitunter auch strafrechtlich geahndet werden. Außerdem ist es mir wichtig, das österreichische Kartellrecht stets im Kontext des europäischen Kartellrechts zu sehen und zu beforschen, denn nur so kann die Wissenschaft die wirtschaftliche Realität auch sinnvoll begleiten. Es gibt auch enge Querverbindungen zwischen Kartellrecht, Datenschutzrecht, KI-Regulierung und Grundrechteschutz, die immer mitgedacht werden müssen.
Schlägt Ihr Herz mehr für die Forschung oder die Lehre?
Ich bin passionierte Wissenschaftlerin und gebe meine Forschungserkenntnisse mit ebenso viel Begeisterung an Studierende weiter. Ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn Studierende in der Lehre mit spannenden Fragen an mich herantreten, auf die ich nicht sofort eine Antwort parat habe – das beflügelt auch meine Forschung.
Was macht Sie als Wissenschaftlerin persönlich aus?
Ich bin eine Wissenschaftlerin, die gerne komplexe Fragen durchdringt und dabei neue Wege geht. Ich arbeite gerne rechtsvergleichend, nutze dabei verschiedene Sprachen und möchte unterschiedliche (Rechts-)Kulturen durchdringen. Auch Forschungskooperationen mit Partner:innen in der ganzen Welt sind mir wichtig, da sich dadurch oft spannende neue Forschungsfragen und innovative Lösungen ergeben. Die Zusammenarbeit mit sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forscher:innen sehe ich als zentral für meine Forschung an. Außerdem ist Digitalisierung im Kartellrecht für mich nicht nur ein Forschungsobjekt, sondern eine gesellschaftliche Transformation, die es umfassend zu durchdringen gilt. Wie schon Kommissarin Vestager sagte – wir müssen als demokratische Gesellschaft entscheiden, was die Technologie der Zukunft für uns leisten soll, sonst entscheiden die Tech-Konzerne das für uns.
Daten und Digitalisierung waren bisher zentrale Forschungsschwerpunkte Ihres Arbeitsbereiches. Welche neuen Projekte stehen nun in den Startlöchern?
Ich widme mich weiterhin intensiv dem Thema digitales Kartellrecht, denn hier gibt es nach wie vor viel Forschungs-Neuland zu beschreiten. So habe ich etwa im letzten Jahr eine rechtsvergleichende Studie zu digitalen Zusammenschlüssen für die Europäische Kommission verfasst, und im heurigen Sommer habe ich dem Europäischen Parlament und der OECD als Expertin im digitalen Kartellrecht Auskunft gegeben. Auch das Thema Demokratie und Kartellrecht, das ich bereits beim Smart Regulation-Symposium 2021 thematisiert habe, beforsche ich weiterhin. Eine wichtige Frage ist hier etwa, inwiefern der Einfluss von Social Media-Netzwerken auf demokratische Wahlen auch kartellrechtlich zu berücksichtigen ist. Denn die vielen Daten, die Social Media über uns Nutzer:innen hat, können nicht nur zur Beeinflussung von Kaufentscheidungen genutzt werden, sondern auch zur Lenkung von Wahlentscheidungen. Hier tut sich ein wichtiges Spannungsverhältnis auf. Computergestützte Kartellrechtsdurchsetzung ist ein weiteres Forschungsfeld, das mich momentan sehr beschäftigt. Außerdem spielt die Nachhaltigkeit im Kartellrecht eine immer größere Rolle, und einige meiner laufenden Projekte beschäftigen sich mit dieser Thematik. Besonders spannend ist hier die Schnittstelle Digitalisierung und Nachhaltigkeit, also die Frage, wie das Kartellrecht der Zukunft mit der digitalen Transformation und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit umgehen wird.
Als Expertin für Kartellrecht und Mitglied im Profilbereich Smart Regulation haben Sie fächerübergreifend an der Schnittstelle Kartellrecht/Data Science gearbeitet, zum Beispiel im Projekt „DataComp“. Warum ist interdisziplinäre Forschung wichtig?
Die interdisziplinäre Forschung habe ich stets als unheimliche Bereicherung erfahren. Man muss Kolleg:innen aus anderen Disziplinen erst den eigenen Forschungsansatz näher bringen – und nähert sich dabei selbst der eigenen Forschung auf ganz neue Weise an. Interdisziplinäre Forschung ist außerdem prädestiniert dazu, uns einen Erkenntnisgewinn zu ermöglichen, den rein rechtswissenschaftliche Forschung allein nicht zulässt. Es tun sich so Synergien zwischen Disziplinen auf, die sich davor gar nicht erahnen ließen. Deswegen bin ich auch gerade an zwei interdisziplinären Forschungsanträgen beteiligt, von denen ich mir spannende Forschung in der näheren Zukunft erwarte.
Wir bedanken uns herzlich für die langjährige Zusammenarbeit und wünschen Frau Prof. Robertson alles Gute für die Zukunft!